Freitag, 7. August 2015

Leb' doch einfach


Ich bin jetzt 16.
Und ich tu einfach mal so, als hätt ich nen Plan.
Dabei hab ich mich so richtig verfahr'n, und steh' jetzt auf der Standbahn, mit Warnblinkern an, und mein Handy hat mal wieder keinen Empfang.
Vielleicht ist das normal, so mit 16. Midteenagecrisis oder so, ich hab ja keine Ahnung, war ja noch nie 16… Aber 16 fühlt sich an wie ein herbstlicher Dienstagmorgen vor Sonnenaufgang, dessen Kälte in deine Ärmel kriecht. Wie 'ne fette Party auf'm Friedhof.
Sag, was du willst, für mich ist es in gewisser Art und Weise der Anfang des Endes. Ist mir egal, wie lang ich noch leb. Ab jetzt lauf' ich mit aller Sicherheit auf's Grab zu. Nein, ich korrigiere - auf's Grab zugelaufen bin ich schon immer. Jetzt ist mir jedoch erst vollends bewusst, dass ich auf's Grab zulaufe.
Schluss mit Lustig, jetzt beginnt der Ernst des Lebens. Obwohl ich immer dachte, der fängt schon bei der Einschulung an.
Plötzlich werde ich gefragt von allen Seiten, wann ich denn Führerschein mache. Oder was ich studieren möchte. Was ich für Kurse hab. Wo ich später arbeiten möchte. Und wie ich mir das denn vorstelle. Und ob ich mir da sicher sei. Und ob ich denn einen Backup-Plan hab. Und ob das nicht zu riskant sein. Und was ich mir bei der Finanzierung gedacht hätte. Und ob ich dafür überhaupt gut genug sei.
Jetzt, mit 16, darf ich ja auch offiziell in den Genuss der ersten alkoholischen Getränke eingeweiht werden. Und wie sie sauft, die Jugend heutzutage - ab jetzt geht's für euch nur noch bergab, hier habt ihr Alkohol, seid still. 
Mal ganz ehrlich, Alkohol schmeckt doch scheiße. Bier, Vodka, Korn, dieser ganze farbige Trunk. Und doch heben wir alle die Gläser. Es ist fast so, als könne man diese Welt auf lange Zeit nur vergiftet ertragen.



Was ist eigentlich mein Problem, frag ich mich jeden Tag.
Du hast doch alles. Leb' doch einfach. 
Und ich geb' ja mein Bestes. Wache auf jeden Tag, zieh' mich an, verlass' das Haus, lache mal, weine mal, feier 'n bisschen, leide 'n bisschen. Komm wieder heim und warte, bis ich schlafen geh.
Dröhne mich voll mit David Guetta und Eminem und versuche, bloß nicht zu denken. Denn wer denkt, der muss auch was rausfinden, aber ich finde nichts, ich suche nur.
Die Tage häufen sich, an denen ich einfach stehenbleib' und meinen Kopf in den Sand stecke.
Bin neidisch auf die, die toll sind, und genervt von denen, die glücklich sind.
90% von dem, wie Leute mich beschreiben würden, ist Fassade.
Eine sichere Fassade, die meine selbstbewusste, neugierige und starke Seite zeigt.
Eine lebensnotwendige Fassade, denn alles dahinter ist instabil und unbeständig.
Sie verbirgt Angst und Hilflosigkeit. Aber wovor hab ich denn Angst? Warum denn hilflos? Du hast doch 'n Ziel. Du machst doch dein Ding. Leb' doch einfach. 
Und ich geb' ja mein Bestes. Predige allen, wie ich später in London studier', und welche Länder ich denn alle auf meiner Weltreise durchqueren will und muss ihnen dann versprechen, sie in meiner Oscar-Rede zu erwähnen und sie auch mal fein meinen Nobelpreis streicheln zu lassen.
Und dann lachen wir und das Leben geht weiter, und weiter, und weiter, und ich höre auf, zu lachen, und höre auf, zu gehen. Denn ich bin nicht ehrlich zu mir selbst.
Ich werd' weder Oscars noch Nobelpreise streicheln. Ich weiß nicht mal, ob ich das kann, was ich will, ob ich schaffe, wovon ich träume, wenn meine kleine eigene Welt zu schwer wird. Ich bin doch auch nur ein kleiner Mensch, der manchmal vergisst, wie das mit dem Laufen nochmal gleich funktioniert.
An solchen Tagen bleib' ich lieber im Bett, aus Angst, wieder zusammenzubrechen, sobald ich es wage, auf meinen eigenen Beinen zu stehen.
Denn wer nicht wagt, der verliert auch nichts.
Ich hab mal gewagt, und hab was verloren, das mir sehr lieb war.
Das war ich selbst.
Und ich hab überall gesucht, hab für mich gekämpft und Kriegswunden davongetragen.
Doch den Sieg kann ich noch lange nicht verkünden.
Ich bin mir nicht mal mehr sicher, ob Sieg überhaupt das ist, wofür ich hier bin.

Früher, als ich noch ein Kind gewesen bin, da hab ich mir zum Geburtstag den Playmobilzirkus gewünscht oder 'ne Murmelbahn, und das reichte mir. Ich war glücklich, denn ich kannte nur Glück.
Aber heute?
Was ich heute auf meine Wunschliste schreiben würde, gibt's nicht für 9,99 Euro bei Toysrus.
Inneren Frieden kann man nicht im Katalog bestellen.
In gewisser Weise bin ich froh für mein Ringen mit mir selbst. Denn ohne Schmerz ist auch Freude wertlos.
Ich denke, wenn du noch nie so tief gefallen bist, sodass du deinen Lebensmut vollständig verloren hattest, dann wirst du auch nie wirklich wissen, wie schön fliegen ist. Und wie wichtig fühlen ist.
Aber mich macht es traurig, dass ich nicht mal für 15 Minuten auf einer Wiese liegen könnte und einfach die Wolken beobachten könnte, ohne dass meine verfluchten Gedanken wieder in mein Ohr kriechen und mir all diese Fragen stellen würden, auf die ich selber keine Antwort habe.
Wer könntest du sein? Wirst du jemals dein Leben in den Griff kriegen?
Natürlich sind das überwiegend Fragen, die sich jeder an einem Punkt in seinem Leben stellt. Aber wieso scheint es mir so, als würde jeder damit irgendwie umgehen können und ich bin die einzige, die daran immer tiefer verzweifelt?

Je weiter ich die Augen öffne, desto stärker wird das Verlangen, sie einfach wieder zu schließen. So viel Misere, die uns alle zerstört, ob wir's wollen oder nicht. Keiner ist wirklich, wie er scheint. Jeder hat seine Leichen im Keller. Und wenn die Sonne aufgeht, tragen sie alle dasselbe trügerische Lächeln. Ist das nicht krank?
Letztendlich rennen wir alle umher wie kleine Ameisen.
Aber die anderen, die scheinen wohl nicht nachzudenken, wohin sie überhaupt rennen.
Die rennen einfach.
Aber ich hab keinen Bock mehr. Ich will nicht einfach vor mich hinwatscheln.
Ich möchte jemand sein, der weiß, was er will, und das dann einfach macht.
Und jemand, der das dann auch schafft, egal, wie viele Steine ihm in den Weg gelegt werden.
Ja, aber warum bin ich das dann nicht einfach? Mach doch einfach. Sei doch einfach. Leb' doch einfach.
Einfach.
Einfach...
Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen möchte. Vielleicht beides.
Entweder ich fahr' jetzt Richtung 'Leb' doch einfach', oder Richtung ''.
Ich glaub, ich nehm letzteres. Is zwar 'n Umweg, aber ich hab da so ein Bauchgefühl.
Ich hab zwar Weg und Verstand verloren, hab auch keinen Backup-Plan, keine finanziellen Absicherungen für die nächsten 20 Jahre und nein, ich hab nichts im Griff, tut mir Leid, ja ich weiß, diese Jugendlichen immer, in ihrer rosaroten Blase. Meine Blase ist nicht rosarot. Meine Blase ist schwarz.
Ich kann grad nichts sehen, ich kann nur fühlen.
Und das ist im Moment alles, was ich kann.
Denn ich bin erst 16.